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Die Bewirtschaftung der Alp Sigel im Innerrhoder Alpstein wurde nach dem Absturz der Sigelbahn im Sommer 2008 in Frage gestellt, zumindest die Bewirtschaftung mit Kühen. Eine alternative Erschliessung mit einer Strasse kam nicht in Frage; die Alp Sigel liegt in einem Gebiet, das zum Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung gehört (BLN-Gebiet), auch waren die Kosten dafür klar zu hoch. Dank einer touristischen Mitnutzung der neuen Seilbahn konnte eine tragbare Lösung gefunden werden, dies trotz jahres- und tageszeitlicher Betriebseinschränkungen und Reduktion der eigentlich vorhandenen Beförderungskapazitäten um einen Drittel. Die Sigelbahn ist ein gelungenes Beispiel für die Symbiose zwischen Alpwirtschaft und Tourismus.

Die Alpgenossenschaft Sigel

Die Alp Sigel auf dem ersten Berg der mittleren Alpsteinkette erstreckt sich auf einer Fläche von 113 Hektaren, die sich von 1760 m ü. M. gegen Südosten bis auf 1210 m ü. M. hinunter neigt. Nebst 9 Hektaren Wald und 5 Hektaren Fels umfasst die Alp knapp 100 Hektaren Sömmerungsweide.

Die sechs Hüttenrechte – wovon das «Herrenrecht» dem Kanton gehört – sind in einer privatrechtlichen Genossenschaft organisiert und werden von fünf Bauernfamilien bewirtschaftet. Die Alpgebäude liegen zentral und weilerartig auf 1585 m ü. M. 170 Grossvieheinheiten werden im Durchschnitt während 85 Tagen auf der Alp gesömmert; 2015 waren es 106 Kühe, 101 Rinder und 37 Kälber. Die Älplerfamilien auf Sigel melken 80 000 kg Milch pro Sommer. Früher wurde auf dem Alprecht «Haseblatte» in einer gemeinsamen Zentrifuge Rahm hergestellt. Heute liefern alle Sennen und Senninnen ihre Milch als Verkehrsmilch ab.

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Situationsplan der Alp Sigel.

Die Alp Sigel liegt im BLN-Gebiet «Säntisgebiet», was die Möglichkeiten bei der Erneuerung der Alpställe beeinflusst. Neue, grössere Ställe, welche die Tiere mehrerer Alprechte aufnehmen könnten, werden nicht bewilligt. Dies zeigte sich beim Neubau für das Alprecht «Langmelster» (2013/14). Auch der Kanton selbst möchte nicht, dass sich der Charakter der Alp wesentlich ändert.

Von der Sömmerungsfläche sind 19 Hektaren als Trockenweiden von nationaler Bedeutung ausgeschieden. Dies weist auf ein latentes Problem, die knappe Wasserversorgung, hin. Im von Klüften und Wetterlöchern durchzogenen Kalkgestein entspringen keine Quellen. Das Regenwasser wird deshalb in mehreren Reservoirs gesammelt. Zusätzlich dienen «Söören», natürlich entstandene oder mit Folien ausgekleidete Teiche, zum Tränken der Tiere. Der Alpauftrieb erfolgt über die sehr steile Brüeltobelstrasse bis zum Berggasthaus «Plattenbödeli», dann weiter über den «Chrutzog» zu den Alpställen hinauf. Ab dem Einstieg ins Brüeltobel muss auf 3 km eine Höhendifferenz von 660 m überwunden werden – eine beschwerliche Alpfahrt!

Die Flurgenossenschaft Alp Sigel

Zusätzlich zur Alpgenossenschaft wurde 1963 eine öffentlich-rechtliche Flurgenossenschaft gegründet. Die Statuten geben als Zweck an:

Bau und Unterhalt

einer Seilbahn mit beschränkter Personenbeförderung,

einer Weganlage von der Bergstation bis zu den Alpgebäuden,

von Güllenkästen mit Verschlauchungsanlage,

einer Milchzentrale,

einer Telefonanlage und schliesslich

die Anschaffung eines Rapideinachsers für Transporte und Antrieb der Verschlauchung.

Die Flurgenossenschaft handelte rasch. Bereits im Mai 1964 wurde eine einspurige Pendelbahn in Betrieb genommen. Die Länge betrug 1115 m, der Höhenunterschied 660 m, die Nutzlast 250 kg. Die Baukosten beliefen sich auf 135 000 Franken.

30 Jahre später musste die Bahn erneuert werden. Antrieb und Umlenkrollen wurden ersetzt, ebenso die mechanische durch eine elektronische Steuerung. Die Kosten betrugen 400 000 Franken. Das BLW reduzierte – im Gegensatz zum Kanton – wegen der geplanten Beförderung von Touristen die beitragsberechtigten Kosten um 25 % auf 300 000 Franken. Die Fahrzeit konnte zwar von 11 auf 7½ Minuten reduziert, aber die Nutzlast leider nicht erhöht werden.

Kurz danach kam die Idee einer Alpkäserei beim «Plattenbödeli» auf. Die Sigelsennen und -sennerinnen wollten sich diesem Projekt anschliessen. Die Produktion von Vollrahm wurde als nicht zukunftsträchtig beurteilt, die Vollmilchablieferung wegen der langen Transportdauer mit der Seilbahn, deren Kapazität und befürchteter Folgekosten (Tankanlage bei der Talstation) als ebenso schwierig wie aufwändig eingeschätzt.

Am 30. Juni 1998 besichtigte der BLW-Experte die Alp Sigel. Es sollte eine Milchpipeline ins «Plattenbödeli» hinunter gebaut werden, rund 750 m lang bei einer Höhendifferenz von 350 m. Mit dieser Leitung wäre aber nicht nur Milch talwärts, sondern auch Wasser und Schotte für Alpschweine bergwärts transportiert worden. Die Kosten wurden auf 130 000 Franken berechnet. Die Käserei hätte während des Alpsommers nicht nur die Sigelmilch, sondern auch jene weiterer Alpen verarbeitet – insgesamt etwa 200 000 kg – und sollte 670 000 Franken kosten. Obwohl das BLW positiv Stellung bezog und auch ein grosses Interesse an diesem Projekt spürbar war, scheiterte es schlussendlich an der Finanzierung. Die angefragten Alpen konnten oder wollten die nötigen Eigenmittel nicht leisten.

Im Rahmen eines nächsten Projektes sollte die Alp elektrifiziert werden. Der Bezirksrat Schwende lehnte am 29. August 2007 allerdings eine Unterstützung ab. Strom soll grundsätzlich im ganzjährig bewohnten Streusiedlungsgebiet fliessen, nicht aber im Sömmerungsgebiet.

Absturz und Neubau der Sigelbahn

Am 9. Juni 2008 um 19.30 Uhr stürzte die Kabine auf einer Bergfahrt ab. Glücklicherweise befanden sich keine Fahrgäste darin, sondern nur leere Milchkannen. Die Expertise der Kontrollstelle des Interkantonalen Konkordates für Seilbahnen und Skilifte ergab, dass starke Windböen und ein automatisch ausgelöster Bremsvorgang Schwingungen erzeugten, welche zu einer Kollision zwischen Rücklaufseil und Kabine führten. Dabei wurde das Laufwerk der Kabine vom Tragseil gehoben. Trotzdem konnte die Bahn wieder gestartet werden, wobei allerdings das Zugseil bergseitig riss und die Kabine abstürzte. Ursache war nicht ein Verstoss gegen die Sorgfaltspflicht, sondern die Kombination aus Bahnsystem und ungünstigen topographischen und meteorologischen Gegebenheiten.

Trotzdem kam eine Reparatur der Bahn ebenso wenig in Frage – die Vorschriften waren seit der Erneuerung verschärft worden – wie die Erschliessung der Alp mit einer Strasse. Die Flurgenossenschaft entschied sich darum für das folgende Projekt:

Bau einer Zweiseil-Pendelbahn mit zwei Kabinen bzw. mit einer Kabine und einer Lastbarelle,

je ein in den Stationen fest verankertes Tragseil als Fahrbahn,

ein umlaufendes Endlos-Zugseil, an welchem die Kabinen festgeklemmt sind.

Die Talstation sollte am gleichen Ort neu gebaut, die Bergstation ein wenig talwärts verschoben werden. Die neue Nutzlast sollte auf 640 Kilogramm erhöht werden, um notfalls auch Vieh transportieren zu können. Die Fahrzeit verkürzte sich auf 6 Minuten. Kostenschätzung: 2 800 000 Franken.

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Die Talstation der neu erbauten Sigelbahn.

Drei Einsprecher stellten sich gegen dieses Bauvorhaben: Der Bergwirteverein Alpstein, pro natura und eine Privatperson. Auch die Besichtigung mit dem BLW und der eidgenössischen Natur- und Heimatschutzkommission ENHK am 22. Juli 2009 zog ähnliche Forderungen nach sich, nämlich: Jahres- und tageszeitliche Beschränkung der touristischen Nutzung und kein Restaurantbau. Dazu kamen Anforderungen in Bezug auf die Fassaden- und Dachgestaltung der Stationen.
 
Die Flurgenossenschaft akzeptierte nach drei mühseligen Sommern ohne Bahn die folgenden Einschränkungen:

Touristische Fahrten nur von Mai bis Oktober zwischen 8 und 18 Uhr,

kein Transport von Sportgeräten (Gleitschirm, Mountainbike),

Fahrpreis maximal 7 Franken günstiger als bei den in Innerrhoden eidgenössisch konzessionierten Seilbahnen,

Konzession für nur vier der sechs Sitzplätze pro Kabine,

Abbruch der alten Bergstation, keine Nutzung als Remise.

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Die Lastbarelle dient zum Warentransport auf die Alp Sigel.

Die Transportkapazität wurde zwar durch die beiden Kabinen und durch die Verkürzung der Fahrzeit vergrössert. Trotzdem ist die Alp Sigel nicht wie befürchtet von Touristen überrannt worden. Die Sigelbahn kann aber nur durch ein sinnvolles Zusammenspiel von Alpwirtschaft und Tourismus finanziell überleben: Ohne Milchtransportmöglichkeit keine Kühe, ohne Kühe kein gelebtes Brauchtum bei den Alpfahrten, ohne gelebtes Brauchtum weniger Touristen, die, unter anderem auch, die Sigelbahn benutzen – ein Geben und Nehmen.

Beförderte Personen / Fahrten 2015 (gerundet)

Alpwirtschaft1 700 beförderte Personen (Alprechtsbesitzer und Bewirtschafter)
Tourismus13 800 beförderte Personen
Anzahl Fahrten6000

Albert Elmiger, Meliorationsamt / Investitionskreditkasse, Kanton Appenzell Innerrhoden
Samuel Reusser, BLW, Fachbereich Betriebsentwicklung, samuel.reusser@blw.admin.ch